NZZ bescht Zitig vo dä Wält.
Bette sehr:
Die BBC-Reihe «The Serpent» folgt der blutigen Spur eines Serienmörders auf dem Hippie-Trail
Charles Sobhraj brachte Mitte der siebziger Jahre Rucksacktouristen auf perfide Weise um. Eine nun auf Netflix verfügbare Mini-Serie inszeniert den spektakulären Fall aufwendig – und zum Teil fragwürdig.
Wie muss es ihn gewurmt haben, dass sein Name nicht dauerhaft im kollektiven Gedächtnis haften blieb wie der eines Ted Bundy: Wächsern vor Selbstgefälligkeit schaut Charles Sobhraj in die Kamera des Filmteams, das ihn 1997 in Paris aufgespürt hatte, wo der damals 53-jährige Serienmörder ein freies Leben genoss. Nur einmal erhellt sich sein Gesicht, als er erwähnt, dass es die «Times» war, die schrieb, er sei ungestraft davongekommen.
Das Gespräch ist nun in der True-Crime-Thriller-Serie «The Serpent» nachgestellt, und solche Interviews liess sich der «Bikini-Killer» teuer bezahlen. Mitte der siebziger Jahre hatte er entlang des Hippie-Trails Rucksacktouristen ermordet, die über Land und ohne festes Zeitbudget auf der der Suche nach Sinn oder Abenteuern von Afghanistan und Iran bis ins pakistanische Peshawar und weiter nach Goa reisten und irgendwo zwischen den Traumstränden von Pattaya und den urbanen Zentren strandeten. Allein Thailands Justiz lastete Sobhraj zehn Tötungsdelikte an. Bis heute weiss niemand, wie viele Menschen er auf dem Gewissen hat.
Selbstvermarkter hinter Gittern
Besonders perfide war, dass der vielseitige Betrüger nicht bloss die Pässe und weitere Habseligkeiten seiner Opfer stahl, sondern auch ihre Identitäten. So entwischte der sieben Sprachen beherrschende Verbrecher mit dem französischen Pass, Sohn einer Vietnamesin und eines Inders, immer wieder den Behörden. Als er dann gefasst worden war, machte er mit spektakulären Ausbrüchen auf sich aufmerksam. Seine Flucht aus dem indischen Hochsicherheitsgefängnis Tihar etwa inspirierte Bollywood 2015 zum Krimi «Main Aur Charles».
Noch hinter Gittern vermarktete Sobhraj, dem die Presse den Übernamen «die Schlange» verlieh, seine Geschichte für Bücher und TV-Produktionen. Der grösste Coup gelang ihm mit dem Verkauf der Filmrechte, für die er 15 Millionen Dollar kassiert haben soll. Im Januar dieses Jahres lief dann auf BBC die achtteilige Miniserie «The Serpent» des «Ripper Street»-Autors Richard Warlow an, die dem narzisstischen Soziopathen ein durchaus zweifelhaftes Denkmal setzt. Über 31 Millionen Mal wurde der Stream, der jetzt auch auf Netflix abrufbar ist, seither auf der sendeeigenen Plattform iPlayer aufgerufen. Ein Grund dafür dürfte der durchgestylte Look der Serie sein.
Nach einem missglückten Juwelenraub in Delhis mondänem Hotel «Ashoka» hat sich der attraktive Charles ein blendendes Alias zugelegt. Als Edelstein-Dealer Alain Chartier, den der algerischstämmige Franzose Tahar Rahim unnahbar, doch weltmännisch gibt, verführt er ahnungslose Touristen wie schöne Frauen gleichermassen. Auch die hübsche Frankokanadierin Marie-Andrée Leclerc (Jenna Coleman) verfällt ihm, kurzerhand lässt sie für den Urlaubsflirt ihr altes Leben hinter sich und tritt fortan als Alains Ehefrau und Model Monique auf.
Einem Glamour-Paar gleich lässt die Serie die zwei in Bohème-Seventies-Garderobe zu deliziösem Soundtrack nach Kathmandu und Paris jetten. Oder sie laden zu rauschenden Pool-Partys und Übernachtungen ins «Kanit House», einen Apartment-Komplex in Bangkok, der sehr viel mehr Komfort bietet als die Hostels im gerade erst entstehenden Backpacker-Viertel der Stadt. Fast täglich treffen im Hippie-Mekka, das mit fernöstlicher Spiritualität, billigen Drogen und Aussteiger-Feeling lockt, Neulinge aus Westeuropa oder den USA ein. Und Alains Komplize Ajay Chowdhury (Amesh Edireweera) lotst «potenzielle Kunden» unter ihnen mit allerlei Vorwänden ins «Kanit House».
Dort schnappt die Falle zu: Den Gästen werden Giftcocktails verabreicht, andere schlucken angebliche Medizin gegen Dehydrierung und Übelkeit. Manche der Blumenkinder lässt das sinistre Trio über Wochen dahinsiechen. Während Monique noch mit den brutalen Praktiken hadert, tauchen die ersten Leichen auf. Obwohl rasch feststeht, dass die Hippies erwürgt, erstochen oder lebendig verbrannt worden sind, zeigt sich die Polizei wenig interessiert an einer Aufklärung.
Einzig der junge, pflichtbewusste Attaché der niederländischen Botschaft, Herman Knippenberg (Billy Howle), kümmert sich ernsthaft darum: Ein holländisches Paar ist als vermisst gemeldet, und er geht dieser Sache nach. Unterstützt von seiner Frau Angela (Ellie Bumber), sammelt er beharrlich Beweise, um die Mordserie über die Landesgrenzen hinweg zu verfolgen. Dabei riskiert er Kopf, Kragen und einen Karriereknick, bis Interpol den Massenmörder endlich auf ihre Fahndungsliste setzt. Knippenberg, ein wahrer Held und Sympathieträger in der Serie wie im Leben, funktioniert als Antagonist zur kaltblütigen Schlange. Dem im Film hochstilisierten Sobhraj indes nimmt man den Menschenfänger nicht recht ab.
Ein Mörder bastelt an seinem Mythos
Wer cleveren Thrill à la «True Detective» (HBO) erwartet, wird enttäuscht. Neben schönen Aufnahmen, die eine zurzeit unterbundene Reiselust stillen, liefert «The Serpent» vor allem einer Klientel Futter: dem im Streaming-Zeitalter neuen Typus des Bildungsbürgers, der Historiker dazu bringt, diese und andere Produktionen (wie «The Crown») penibel auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen.
Jüngst hat sich die echte Angela Knippenberg beschwert, sie habe eine weit grössere Rolle gespielt, als ihr die Serie zubillige. Problematischer scheint jedoch etwas anderes zu sein. «Nein, besser als das», antwortet Sobhraj etwa einem seiner Opfer, der Amerikanerin Teresa, auf die Frage, ob er ihr weh tun werde: Solche Passagen sind keineswegs der Kreativität der Drehbuchautoren entsprungen. In nahezu identischem Wortlaut schilderte Sobhraj, der schon länger an seinem Mythos bastelt, 1976 dem Schriftsteller Richard Neville die Szene. Auch sein Motiv enthüllte der Mörder in jenem Interview: Hass auf Westler.